⚠️ Trigger Warnung! ⚠️ Dieser Blog beinhaltet nah und offen geschilderte Gefühle zu den Themen Body Image, Schönheitsoperationen, trans Operationen, Selbstverletzendes Verhalten, Blut und auch Bilder/Fotos zu diesen Themen werden gezeigt. Bitte lies das hier nur, wenn du gerade stabil genug bist, um es gut für dich wegsortieren zu können und Abstand zu halten. Please be save ❤️
Seit 2011 fotografiere ich mich selbst und meine Partner:innen. Man könnte also denken, dass ich die Sichtbarkeit geradezu zelebriere. Jedoch habe ich mich auf meinen Fotos jahrelang gut versteckt. Tausende Fotos, wie eine Art Dokumentation meines Schmerz-Versteckspiels, sind entstanden. Darauf gibt es Stellen meines Körpers, die ich bewusst immer vermieden habe.
Aber wie kam es eigentlich dazu?
Wir schreiben das Jahr 2009, ich bin 20 Jahre alt und absolut überzeugter trans Mann. Nach 2 Jahren täglich Binder tragen, gehe ich die Brustentfernung an. Ihr solltet wissen, dass über so lange Zeit Abbinden das Brustgewebe sehr stark ausleiert, zerquetscht und für schlechtere OP-Ergebnisse sorgt. Zu dieser Zeit der deutschen Geschichte war es aber üblich, trans Personen zum einjährigen Alltagstest zu zwingen, sowie zu einer langen Reihe von Therapiesitzungen, bevor Operationen ermöglicht wurden. In diesem Zeitraum sollten wir feststellen, ob das Leben im “passenden Geschlecht” richtig für uns ist. Zugegebenermaßen war ich noch dazu jung und von der Gesellschaft ordentlich indoktriniert, um gute Entscheidungen zu treffen.
Damals war es mir überproportional wichtig, ein Passing zu erreichen, also als “echter Mann” wahrgenommen zu werden. Das bedeutete auch, dass ich keine Narben auf meiner Brust wollte. Unsichtbarkeit war das Ziel. Als der erste Termin in der Klinik kam, hörte ich nicht auf den Operateur und wählte eine Methode, die für die Größe meiner Brust nicht geeignet war, um den Narben zu entgehen. Der Arzt äußerte Bedenken, dass sich das Gewebe nicht zurückziehen würde. Jedoch gab es kein hartes “das mache ich nicht”. Also hatte ich Hoffnungen.
Meine Entscheidung war jedoch nicht gut. Sie brachte mir 2011 eine zweite Operation ein. Ich musste auch zum medizinischen Dienst meiner Krankenkasse. Die Ansprechperson musterte mich und ließ mich wissen, dass ich nicht “endlos viele Operationen” kriegen würde, da es rein kosmetische Gründe hätte. Für mich klang das wie ein “okay, diese und dann war es das”.
Die zweite OP kam, in der die restliche Haut entfernt wurde, ich aber auch die Hälfte meines linken Nippels verlor. Bis heute weiß ich nicht, wieso das passiert ist. Ich habe auch nie nachgefragt.
Nun hatte ich also doch Narben. Ebenfalls kam durch die Operationen eine einseitige Trichterbrust (?) zum Vorschein. Im Endeffekt hatte ich nun also eine flache Brust, schämte mich aber weiterhin für die eingedellte und wobbelige linke Seite. Sich nackt wohlfühlen war also weiterhin nicht möglich.
Neue Inspiration
Nicht lange nach dieser OP begann ich mit Blogging. Da ich mich in meiner Fotografie schön finden wollte, nutze ich alle Mittel, um die Bilder zu steuern: Hier habe ich die Hand über meine Brust gelegt, sie da passend aus dem Bild posiert, dort stark gedehnt und mich so oft es ging durch Kleidung verhüllt. Selbst meinen Partner habe ich geschickt genutzt, um die unliebsamen Stellen zu verdecken. Vielleicht hat niemand bei meinen endlosen erotischen Bildern und Filmen vermutet, wie meine linke Brustseite wirklich aussieht. Ich hatte immer die Chance zur Zensur.
Erstmals 2013 hielt ich die Realität in Bildern fest und hoffte, dass es etwas in mir verändern würde.
Ich schrieb dazu unter anderem:
“So here you have a picture of it. My left chest has a huge hole in it. Luckily it does not influence my heart or lungs, as it would if it was deeper. It just lowers my confidence and results in me feeling very uncomfortable.”
“While taking care of this photo my first thought was that it didn’t look so bad – my wracked nipple with the chest hole. The first time that I actually thought it was no flaw but beautiful.”
“Sometimes the hole in my chest looks like some kind of strong lightning bolt.
Two weeks ago I let my friend C touch the hollow. She said that it actually felt nice. You can feel the bone curve very well. Maybe it’s not so bad after all.”
Die Fotografien halfen gewiss bei der Verarbeitung. Ein großer Teil gebührt aber auch der Unterstützung meines damaligen Herrn, dessen bedingungsloser Body Positivity und trans Sensibilität ich mir immer sicher sein konnte.
2016 verschob sich jedoch wieder alles. Was ich zwischenzeitlich enthüllt hatte, verschwand aus meinen Bildern. Ich blendete wieder innerlich aus. Oder hatte ich nie aufgehört, diese Brustseite aus meinem Blickfeld auszublenden? Hm. Stellt es euch wie einen schwarzen Fleck auf dem Körper vor. Vielleicht tat es sehr weh, die Fehlentscheidung anzusehen und irgendwie musste ich damit leben. Es beschützte mich einfach “nichts zu sehen”.
Operationen und Trauer
Der Gedanke, die Brust noch einmal zu operieren, hat mich nie verlassen. Nur irgendwie brauchte ich eine Erlaubnis von außen. Die Jahre vergingen und Leute von allen Seiten sagten mir, dass es ja nicht so schlimm sei. Es ist eben einfach, wenn du nicht selbst damit klarkommen musst, was?
2022 endete meine analytische Psychotherapie. Nachzufragen, ob mein Therapeut mich bei meinem Wunsch einer weiteren Operation unterstützen würde, hob ich mir bis zur letzten Sekunde auf. Er sagte, dass er das nicht machen würde, ohne zu klären, warum ich diese Operation wollte. Dabei hatte ich gedacht, dass mich 4 Jahre lang 3 mal die Woche zu sehen genug Einblick in meine Beweggründe gegeben hätte. Also gingen wir mit diesem offenen Ende auseinander. Ich begrub den Wunsch wieder, da ich meine Gefühle als abgelehnt betrachtete.
Es dauerte ein weiteres Jahr, bis ich mich wieder aufraffen konnte. Im Sommer 2023, entschied ich mich nicht länger zu warten. Zuerst plante ich einen Antrag bei der Krankenkasse zu stellen, doch als ich den Text verfasste, ekelte es mich förmlich an mich wieder rechtfertigen zu müssen. Schon wieder dürfen andere entscheiden, ob das, was sich für mich richtig und wichtig anfühlt, umgesetzt werden darf…Ich entschied also, die Kosten selbst zu tragen und auch den Operationsort selbst wählen zu können.
Die erste (oder besser dritte) Operation folgte im Sommer. Ich hatte mich erfolgreich dagegen gewehrt, beide Nippel verkleinern zu lassen, wie es der Arzt vorgeschlagen hatte. Ich wollte nicht einen schönen Nippel riskieren, um einen kaputten zu retten und fand auch nicht, dass die Nippel “vermännlicht” werden müssen.
Ich war nicht mit sonderlich viel Hoffnung an die Operation herangegangen, also war ich nicht weiter enttäuscht, als die Resultate keine besondere Veränderung waren. Weniger Fett im unteren Teil der Brust, aber die Delle wurde nicht ausgeglichener. Ein halbes Jahr später sollte dann die erwartete zweite (vierte) Runde stattfinden.
Der erste Blick unter die Bandagen beim Arzt ein paar Tage nach der OP paralysierte mich. Auch hier war nicht die gewünschte Veränderung erreicht worden. Der Nippel sah nicht gleichmäßiger aus und es wurde kein Gewebe gestretcht wie gedacht. Er sah immer noch aus wie ein schiefes Wackelauge. Ich habe mich zusammengerissen, bis ich zu Hause war. Den Blick an den Spiegel geheftet wusste ich nicht, was ich damit anfangen sollte. Das war auch der einzige Satz in meinem Kopf.
Ich sackte erstmal weinend zusammen. Ich weiß bis heute nicht, warum die Reaktion so stark war. Ob der Chirurg mir wirklich so große Hoffnungen gemacht hatte, dass die Brustseite irgendwann okay und normal aussehen würde? Oder habe ich das erste Mal seit 15 Jahren richtig hingesehen? Ich weiß es nicht.
Hier nochmal eine große ⚠️ Trigger Warnung! ⚠️ “Selbstverletzendes Verhalten” für diesen Teil. Ich setze ihn in einer Box ab, damit ihr wisst, wo er zu Ende ist und ihn ggf. überspringen könnt.
Als ich mich etwas beruhigt hatte, ging ich duschen. Dort wurde ich von Selbstverletzungsgedanken überflutet. Am liebsten hätte ich mir die Brust mit Scherben in Stücke geschnitten. Schlimmer als jetzt wäre das auch nicht. Lieber ganz anders kaputt als dieser halbe Versuch einer Normalität. Gedanken daran, wie überfordernd Krankenwagen sind und wie unangenehm das Nachhinein mit einer Klinik werden würde, hielten mich ab, aktiv zu werden.
Irgendwann tapste ich aus der Dusche heraus und setzte mich weinend auf das Bodenhandtuch. Ich rollte mich zusammen und überlegte, ob ich den Impuls von vorher in einem Artwork umsetze sollte und wie genau das gehen könnte. Ich entschied mich für Aquarellfarbe, weißes und reflektierendes Papier.
Allerdings war ich während des Gestaltungsprozesses schon im Shutdown. Sprich, mein Verstand hat mich in einen emotional toten Zustand versetzt, um mich zu schützen. So hat das Artwork nur semi etwas gebracht. Es sieht aber ganz gut aus und ich finde die Fotos auch sehr repräsentativ für mein Gefühl.
Ein paar Tage später dachte ich dann: "Möh, wo ist eigentlich mein Orden dafür, dass ich mich vor der Selbstverletzung geschützt habe?"
Also bastelte ich einen und er hängt seitdem an meiner Wand und glitzert vor sich hin.
Im Endeffekt schaue ich mir diese Brustseite nun immer wieder mal im Spiegel an. Zupfe daran herum und bewege die Muskeln. Sie ist auch nach diesen zwei Operationen nicht besser. Ich bin bereit aufzugeben.
Fragen mit Folgen
Ich war im September 2024 erneut bei einem sehr körpernahen Workshop. Während der persönlichen Feedback-Runde nach einer Session passierte es: Aus heiterem Himmel wurde mir eine Frage gestellt, die auf eine Trauer einstach, deren verletzten Kern ich erstmal auf ein Abstellgleis geschoben hatte. Mit meiner Brust wollte ich mich jetzt eigentlich nicht beschäftigen.
Um das hier nochmal transparent zu machen: Die Person hat gar keine Schuld. Manchmal trifft man unabsichtlich eine offene Wunde.
In der Mittagspause wollte ich nachschauen, was ich brauchte, um damit umzugehen. Mein Körper meldete, dass Musik und Bewegung jetzt nötig sei. Ich nahm mir die Zeit, um all die Gefühle aus meinem Körper herauszutanzen. Zum Song "Go to War” von “Nothing more" ließ ich meinen Gefühlen in wild energetischem Gefuchtel freien Lauf.
Go to War
Nothing More
Auch wenn der Inhalt des Songs mir nicht ganz passend erscheint, so besitzt er doch die rohe Ausdruckskraft, die ich brauchte.
Selten kann ich so viel herauslassen, wie wenn ich körperlich in Bewegung bin. Die kleinen Energiebälle aus meinem Körper zu lösen, zu jonglieren und Boden zu bringen ist so kraftvoll, dass ich sie förmlich sehen kann.
Der nächste Song, der mich ansprach, war “RØRY ” – “the apology I'll never receive”. Ich verstehe noch nicht ganz, wieso es gerade dieser Song war, aber es macht sicher Sinn. Vielleicht steht in irgendeiner Weise eine Entschuldigung an.
Ich setzte mich zu Boden und schaukelte die letzten Tränen aus mir heraus. Es kehrte wieder Ruhe ein. Manchmal reichen eben 10 Minuten, um etwas zu bewegen.
Für den Rest des Tages entschied ich mich, das Thema gut gebettet liegen zu lassen.
Offen und verletzlich
Gefühlt habe ich meinen Schmerz mitsamt seinem dazugehörigen schwarzen Fleck 100 Mal in Bildern verewigt. Immer anders und doch insgesamt gleich.
Es ist das erste Mal, dass ich mich öffentlich zu diesen Zeichnungen bekenne. Ich habe sie bisher nur in einem anonymen Instagram gesammelt. Nun möchte ich auch dazu stehen. Wir haben wahrscheinlich nur ein Leben und in diesem möchte ich zu allem stehen, was in mir ist. Meine Zeichnungen sind ein Teil von mir und verdienen es auch mit all meiner sonstigen Sichtbarkeit da sein zu dürfen, ganz egal, welche Einschnitte das auch mit sich bringen möge.
Es gibt kein “zu viel” (Mensch) sein. Menschen sind nicht eindimensional, sondern existieren gleichzeitig auf so vielen Ebenen, dass wir es gar nicht fassen oder sehen können. Gerade fühle ich, dass keine Verurteilung von außen es wert ist, sich zu verstecken. Darin vergraben ist auch, dass “sich zumuten” eine meiner größten Ängste ist. Schauen wir dieser Angst doch mal ins Gesicht.
Ein kleiner Ausflug zu wichtigen Menschen
Vor ein paar Jahren, während eines anderen Workshops, habe ich eine wunderbare Person kennengelernt, deren Körper und Erleben sich so vertraut anfühlt. Ihre Körpergeschichte mit Skoliose hat mich unglaublich tief bewegt. Besonders die Form, wie sie sich damit künstlerisch auseinandergesetzt hat, war so wunderschön und inspirierend, dass ich euch einen Link dazu hier lassen möchte. Bezaubernd.
Umso mehr hat es mich mitbewegt zu sehen, wie dieses tolle Wesen während des letzten Workshops im Eifer des Gefechtes durch Worte zu diesem Thema verletzt wurde.
Ich möchte hier nochmal ein kleines Fleckchen öffnen, um zu sagen, wie offen sich ihr Körper für mich anfühlt. Sicher, weil wir uns ganz ähnlich bewegen. Das ist zumindest mein Eindruck, nachdem ich vor allem mit Menschen, die viele gelernte Tanzarten in ihren Bewegungsablauf eingebaut haben, gemeinsam sehr ungelenke, eher klumpige Bewegungen vollführe. Dabei entsteht selten ein richtiger Flow, da ich mich eher schwappend wie Wasser bewege.
Umso schöner war es letztes Jahr mit ihr zu tanzen und in einer unglaublich nahen Umarmung zu enden. Vielen Dank dafür. Vielen Dank, dass es dich so gibt, wie du bist.
Wohin es gehen soll
Noch habe ich keine Lösung für meinen Schmerz und das Leid hinter meiner linken Brustseite. Ich schwanke irgendwo zwischen einfach sein lassen wie es ist, und durch eine Tätowierung verändern. Irgendwie den Wunsch nach Normalität, Unsichtbarkeit und Symmetrie weggleiten lassen wäre schön. Doch ich fürchte das Suchtpotential hinter Tattoos zu sehr und auch meine eigene Wandelbarkeit. Was, wenn ich mich wieder verändere? Es ist einigermaßen schwer damit umzugehen.
Woran ich jedoch nicht vorbeikomme, ist demnächst den Schönheitschirurgen wieder aufzusuchen. In meiner Brust befinden sich noch Ölzysten, also von der letzten Fettumverteilung abgestorbene Fettzellen, die jetzt als größere Klumpen unter der Haut liegen. Einmal wurden diese schon abgesaugt. Vielleicht ist das nochmals nötig, da mein Körper sie nicht selbst resorbiert.
Der Chirurg fragt mich bei jedem Besuch, wie zufrieden ich mit dem Ergebnis bin. Bisher habe ich mich um eine Antwort herumgemogelt. Ob ich gegenüber ihm ehrlich meine Trauer kommuniziere, weiß ich noch nicht. Schließlich hat er ja sein Bestes gegeben und die Ausgangslage ist einfach schlecht… Seufz.
⚠️ Trigger Warnung! ⚠️ Fotos mit Kunstblut, mglw. SVV Assoziation
Für jetzt habe ich mich erstmal frisch fotografisch und in Form einer Selbstbemalung mit meiner Brust auseinandergesetzt. Auch wenn es keine Lösung bietet, so fühlt es sich wenigstens wie ein richtiges Hinsehen an.
Zum Schluss möchte ich euch noch diesen TEDX Talk da lassen, da er sich wirklich gut mit dem Thema Selbstwert und Fotografie auseinandersetzt: "5 reasons you look bad in photos" von Teri Hofford. Der Vortrag hat meine Perspektive, was ein gutes Foto ist, nochmal ein ganzes Stück verändert.
Ich berichte, wie es bei mir weitergeht.
Auf bald.