TW: Blut, Sexismus, Patriarchat, Gaslighting, Emotionale Unterdrückung, Suizid
Dieser Blogeintrag behandelt meinen sehr persönlichen Lebensweg im Bezug auf Submission, Collaring und Besitz. Nichts für zwischendurch. Brace yourself.
Blut ist dicker als Wasser
Welch zauberhaftes Medium Blut doch ist. Gehe ich in meiner Lebensgeschichte zurück, finde ich sehr früh Spuren davon: Unzählige aufgekratzte Mückenstiche, derb aufgeschlagene Knie und genähte Wunden. Der Beginn einer rötlich glänzenden Faszination. Weiter ging es in meiner Teeniezeit, wo ein großer Vampirismus-Kink durch diverse Prime Time Serien Fahrt aufnahm. Wie spannend war bitte die Romantik von Hälsen, Bissen und Bluttransfer? Ich war wie gebannt. Auch wurden Vanitas und Vergänglichkeit Thema meiner Zeichnungen. Natürlich durfte Blut als sehr präsentes Medium darin nicht fehlen.
Als ich 14 Jahre alt war entzündete sich eine neue Flamme in mir: Ich wollte unbedingt gläsernen Schmuck mit Blut gefüllt besitzen. Blutschmuck im Form von großen diamantförmigen Ohrringen hatte ich zum ersten Mal in einem Anime gesehen und sofort eine tiefe Verbindung gespürt. Zwar nicht in Form des Blutes eines Elternteils wie im Film, doch sollte es schon das Blut einer anderen Person sein. Diese zauberhaften Gedanken haben mich lange begleitet.
Mit 24 wurde ich fündig und habe mir diesen Wunsch endlich erfüllt. Mit meinem damaligen Herren tauschte ich Blutanhänger und trug sein Blut fortan fast täglich um meinem Hals.
Blut, in Form von Bloodplay, war ebenfalls ein zentrales Thema in unserem BDSM. Damit war der Anhänger das perfekte Symbol für meine Liebe und Unterwerfung. Und wie tief ich versunken war...
Mit der Trennung nach 6 schönen Jahren Poly-Beziehung habe ich den Anhänger in meine Erinnerungskiste gelegt. Natürlich mit dem Wunsch wieder Blutschmuck zu tragen, wenn ein neuer Partner mit “dem es passt” in mein Leben tritt. Ich wollte jemanden finden, der mit mir diese Fantasien wieder teilt. Jemanden, für den Blut Leben und Tiefe bedeutet. Jemanden, der mich auf dieser Ebene versteht.
Doch je mehr ich mich mit mir selbst, meinen Gedanken und Traumata beschäftigt habe, desto mehr wurde mir klar, auf welchen Bausteinen dieser Wunsch erwachsen war.
Ein Leben darauf ausgelegt für andere da zu sein und alles auszuhalten
Ich bin in einem strengen Konzept von weiblicher Unterdrückung aufgewachsen. Darin war definiert, dass es zwingend erforderlich ist einen Partner zu haben und nicht allein zu leben. Dieser männliche Partner sollte mehr Geld verdienen, am besten natürlich den gesamten Haushalt tragen. Alle Entscheidungen sollen bei ihm zusammenlaufen – eben das klassische 50s Household-Bild.
Nicht zu vergessen ist er das Familienoberhaupt und ihm gehört alles. Ja, sogar alle Personen. In diesem Zusammenhang ist weniger verwunderlich, dass absolut offen Besitzansprüche über mich und meine Mutter klargemacht wurden. Wir gehörten diesem Mann – waren Besitz. Ganz ohne scherzhaften Unterton. Hinzu gesellte sich der schöne Ausdruck “mach die Augen zu, dann siehst du, was deins ist”, wenn ich es wagte Objekte als mir zugehörig anzusehen.
Anekdote
"Mach die Augen zu, dann siehst du, was deins ist”, ist ein recht standardmäßiger ostdeutscher Satz, den viele Eltern benutzen. So triggerte mich ein Partner in den ersten Tagen unseres Kennenlernens mit diesen, als scherzhaft gemeinten, Worten unbewusst in einen Wut-Heul-Anfall.
Er hatte diesen Satz auch als Kind 1000 Mal gehört und als “normal” erachtet.
Eltern können so beschissen zu ihren Kindern sein und über Generationen das gleiche Problem weitergeben.
Diese familiär geprägte Unterdrückung hat in mir ein seltsames Konzept von Besitz und Selbstwert herangezüchtet. Es besagt, dass ich nur etwas Wert bin, wenn ich jeMANNdem gehöre. Gleichzeitig war auch immer das Gefühl vorhanden, dass dieser Körper nicht mir gehört. Die positive Seite ist dann wohl, dass Suizid keine Option ist, wenn mensch keine solchen Entscheidungen über den eigenen Körper treffen darf. So tief kann es gehen.
Der richtige Partner muss seinen Anspruch allerdings auch geltend machen. Verbal und materiell. Mir wurde beigebracht, dass dazu auch Eifersucht und absolute Bestimmung meines Weges gehören. Nur das sei eben wirklich männlich und macht einen richtigen Partner aus. Was für giftige Gedanken.
Durch diesen tief eingepflanzten Wunsch habe ich einige wundervolle Beziehungen beendet. Meine Erwartungen an die Fähigkeit meine Bedürfnisse zu lesen und zu spiegeln war einfach überzogen. Die Wünsche der Tiefe von D/s einfach giftig. Ich musste unbedingt Unterwürfigkeit ausleben. Da war kein Platz für eine erwachsene Ebene, auf der ich gleichwertig hätte BDSM ausleben können. Es war reines ausleben von Realitätsflucht in erotischen Fantasien von Distanz und Kontrolle.
Wie sehr wünschte ich mir heute mit einigen Spielpartner*innen auch die Rollen getauscht und sie in die Tiefe begleitet zu haben. Was wir dort auf Augenhöhe wohl gefunden hätten? Wie viel mehr Nähe hätte es uns gebracht?
Mittlerweile erachte ich Switching als die erwachsenste Form von BDSM. Nur wenn ich mich vollständig auf allen Ebenen einbringen und hingeben kann folge ich keinem Trauma-Impuls. Ich lasse Schwäche zu – in mir und in meinem Gegenüber. Es gibt keine aufgeblasene Machtebene mehr. Da ist keine Illusion einer Elternfigur, die nur aufgrund ihrer Kälte und Eindimensionalität verehrt und geliebt wird. Ich erfasse Menschen in ihrer Gänze und blende nichts mehr aus, nehme dabei nichts weg und füge nichts hinzu.
Gesunde Veränderungen
Mir die Verknüpfungen zu meiner Kindheit bewusst zu machen und selbst entscheiden zu wollen, ob das gute Gefühle sind, ist ein endloser Prozess. Noch während ich begann das hier zu tippen überlegte ich mir, wie “schlimm” es ist sich nicht vollständig seelisch binden zu wollen. Ebenso, wie ich es mir allen ernstes anmaßen kann, eine Halskette tragen zu wollen, die nur für mich steht und welche auch noch mit meinem eigenen Blut gefüllt ist. So vieles rebellierte in mir.
Trotz diesen Gefühlen war es im Februar 2021 soweit: Ich kaufte mir einen neuen Blutanhänger.
Mit dem Klick auf “jetzt bezahlen” kamen die Gewissensbisse. Schließlich könnte mein eigenes Blut zu tragen ja Selbstwert bedeuten. Oder die Erinnerung an mich selbst als wertvollen Menschen. Wertvoll ohne, dass es andere Menschen in meinem Leben geben muss. Vor allem wertvoll, ohne dass es DEN einen Menschen in meinem Leben gibt. Eben nicht “the only one”, sondern nur mich als wichtigstes Element. Uff.
Das Blutentnahme-Set kam schnell an. Tage vergingen und ich schob die Entnahme der Probe immer weiter vor mir her. Bald fragte ich meinen Partner, ob er mir hilft – wohl wissend, dass er sich davor ekelt Wunden zu erzeugen. Seine Abscheu löste in mir eine kleine Welle von Traurigkeit aus. Irgendwann habe ich es dann einfach durchgezogen.
Ich nahm die beigelegte Lanzette und versuchte mich an der Blutentnahme. Egal welche Fingerkuppe ich piekste, es wollte kein Blut fließen. Und ich brauchte ja ca. 2 ml davon. Doch mein Körper wollte einfach nichts herausrücken. Also können wohl auch Körper den alten Grundsätzen nachhängen 😉
Irgendwann war es geschafft und im gepolsterten Umschlag machte sich mein Blut auf den Weg. Derweil dachte ich sehr traurig über die Situation nach: Mein größter Fetisch hat keinen Gegenspieler. Und eben diesen Fetisch kann ich mit niemandem teilen, da dieser Mensch dann eine unglaublich große, vielleicht sogar die größte, Bedeutung in meinem Leben einnehmen würde. “Welch trauriges Dilemma”, dachte ich. Eine Wiederholung der Gefühle von damals wollte ich verhindern. Niemand sollte mehr diese Macht über mich haben. Nur ich.
Ein paar Tage später kam der Anhänger. Das Blut war absolut schwarz, ganz anders als im alten Anhänger. Ich betrachtete den Schmuck mit einer bittersüßen Traurigkeit. "Ein Zeichen für Selbstliebe also". Noch viel mehr ein Zeichen dafür, das eigene Leben nicht vollständig in die Hand anderer Menschen zu geben. Eine Erinnerung daran nicht immer wieder Impulsen zu folgen und Bedürfnissen blindlings nachzugeben. Vielleicht auch Liebe in sich selbst zu suchen und nicht von der Verliebtheit zu Anderen zu leben. No more Crushes, no more Roleplay.
Mit diesem Anhänger endete mein Weg als Alltags-Submission auslebender Switcher. Auch will ich mich nicht mehr allein zum Zweck meinen Depressionen zu entgehen verlieben. Keine Schmetterlingsjagd zur Selbstaufwertung mehr. Kein “wir lassen das Kind im Brunnen hocken, denn das ist es ja gewöhnt”.
Ich will nur noch Kontrolle abgeben, wenn ich es intellektuell als richtig empfinde. Dieses Fallenlassen soll ohne eine dauerhafte D/s‑Bindung dahinter stattfinden, die ein Spiel überschreitet. Auch möchte ich nur noch mit Switchern spielen – alles andere erachte ich nicht als ausgeglichen. Es soll nie wieder die Nötigkeit Besitz zu sein herrschen, um mich selbst wertvoll zu finden. Keine Halsbänder mehr, die bedeutungsträchtiger sind als anderer Halsschmuck.
D/s soll immer ein SPIEL mit Wissen um gesellschaftliche Zwänge, historische Backgrounds, internalisierte Konflikte und eigene Traumata sein.
Welch ein langer Weg hierher – und ein noch längerer vor mir.
[to be continued someday]
Disclaimer: Dieser Eintrag dient nicht dazu elitäres D/s zu kritisieren oder Menschen mit 24/7 bzw. DEBRIS Beziehungen in Frage zustellen. Du triffst die Entscheidungen in deinem eigenen Leben.