Goodbye Little
Ich weiß nicht, ob es einigen von euch aufgefallen ist, aber ich habe vor einiger Zeit einen meiner Headspaces von meiner Website entfernt. Der eigentliche Prozess des Gehen-Lassens ist schon seit Monaten im Gange, ich wusste nur bisher nicht wie ich damit umgehen sollte.
CN: BDSM, Therapie, Diagnosen, Kinkshaming
Vielleicht fangen wir ganz vorne an: Was ist eigentlich ein Headspace?
Für mich als Switcher ist ein Headspace eine Art Anteil von mir, in den ich hineinspringen kann. Etwas relativ klar abrufbares und erreichbares in meinem Kopf. Wie eine Art Person, Persönlichkeit oder bestimmte Verhaltensmuster, die ich an den Tag legen kann. Sie sind oft komplett gegenteilig angelegt und existieren dennoch gleichzeitig. Jeder Headspace hat eigene Motive, Stärken, Schwächen und braucht andere Gegenspieler. Je mehr mensch davon mitbringt, desto vielfältiger, kreativer und fantastischer kann ein “Spiel” werden.
Ich bin mir absolut bewusst, dass ein psychologischer Blick auf Headspaces durchaus traumabasierte Erklärungsversuche hervorbringen kann. Ganz egal ob wir nun der Multiplicity von Rita Carter folgen, eine BPS vermuten oder PTBS – je größer unser Wissen über die Psychologie des Menschen, desto verständnisvoller sollten wir auch mit BDSM umgehen. Jeder in uns steckende Impuls kann und wird seine Ursachen in Erfahrungen und Erlebnissen haben. Und das ist etwas ebenso wunderbares wie völlig normales.
Mir sind schon so viele Menschen in meinem Leben begegnet. Die Wenigen ohne Persönlichkeitsstörung oder Traumata kann ich an einer Hand abzählen.
In meinem Fall will ich jede Vermutung einer Störung absolut bejahen. Jeder meiner Headspaces war oder ist so klar abgegrenzt, dass ich ihn/sie/es förmlich treffen kann/konnte. Für mich ist Trauma aber nichts pathologisches, sondern lediglich ein Teil unseres Lebens. Wenn wir eben jene Anteile auch in unserer konsensuellen Sexualität oder unserem Spiel unterbringen können – umso besser. Es kann daraus ein harmonischer Flow entstehen und sich eine unglaublich befreiende Wirkung entfalten.
Where did you come from, where did you go?
Seit ich mit etwa 18 Lebensjahren begann meine Psyche auseinander zu nehmen, stieß ich immer wieder auf 5 Anteile in mir. Einer davon war der besagte Little-Headspace. Ich verortete es im Alter von 8–9 Jahren, absolut geschlechtslos, unsexuell, glücklich, albern und niedlich. Sehr viel meiner empfundenen Freude und Fantasie lag in diesem Anteil. All die Dinge, die sich erwachsene Menschen nicht erlauben, sind hier vorhanden. Trotzdem kann ich nicht behaupten, dass es gut oder einfach ist einen Anteil wie diesen zu besitzen.
In meinem Beruf schöpfe ich aus dieser unendlichen Kreativität, die keinerlei Rauschgift benötigt um die spannendsten Ergebnisse hervorzubringen. Etwas worauf ich stets sehr stolz war. So konnte ich mir auch alle Ausgelassenheiten erlauben.
Weiterhin ermöglichte mir dieser Headspace sofort Verbindung zu den “Kindern” (Vgl. Stefanie Stahl – Das Kind in dir muss Heimat finden) in anderen Menschen aufzubauen. Es war leicht die Verletzungen anderer zu spüren und diese Ebene in ihnen anzusprechen.
Von innen her kann so ein Anteil Probleme auslösen. Ganz egal ob es nun eine Leere, ein Gefühl des “nie genug sein” oder der Vereinnahmung ist – viel hängt an Littles.
In Sachen Erotik und BDSM musste ich allerdings viel Kinkshaming über mich ergehen lassen. Im Erotiksektor wurde mir vorgeworfen Pädophile anzulocken (srsly, this is not how they work), wieder andere sind super verstört über Verhalten und Outfits. Der Nächste respektiert mich als Switcher Dom deswegen nicht. Diese Eindimensionalität empfinde ich als sehr traurig, aber wenig wunderlich. Jede*r hätte wohl gerne EIN bestimmtes Bild von einer Person. Das in jedem Menschen verschiedene Dinge simultan existieren ist schwierig zu begreifen. Dabei ist gerade Ageplay so dermaßen emotional, dass ich nicht verstehe kann, wie barsch damit umgegangen wird. Der gegenseitige Respekt verfliegt wohl an der eigenen Altersgrenze.
Trotzdem hat mich keiner dieser äußeren Einflüsse dazu bewogen etwas zu verändern. Oh, das klingt schon richtig aktiv…dabei ist die Veränderung eigentlich von allein passiert.
Grusel-Integration
2018 hatte ich eine Unterhaltung mit einer Freundin. Sie sprach davon, dass Ziel ihrer Therapie sei, ihre Anteile zu integrieren, nicht wie ich angenommen hatte, dafür zu sorgen, dass die verschiedenen Anteile freundlicher zueinander sind.
Das versetzte mich in eine Schockstarre. Ich hatte Angst davor, was passiert, wenn ich Little nicht mehr besitze. Würde meine Kreativität mit verschwinden? Ich begriff Little doch immer als etwas wahnsinnig tolles – warum sollte ich das gehen lassen? Würde ich erwachsen werden? Das war alles schwer zu begreifen. Lange blockierte ich alles.
Ein paar Monate nach dem Gespräch entschied ich mich für eine analytische Psychotherapie. Das bedeutet 300 Stunden Arbeit, 3 Tage die Woche, mindestens 3 Jahre lang. Wow, es klang nach einer Art Therapie, wo ich endlich mal genug Zeit hatte all das Chaos in mir zu besprechen und auseinanderzunehmen. Endlich mal kein “wir müssen uns auf einige Themen fokussieren”. Das war früher als Ausgangslage ein schlechter Versuch um ein Universum unendlicher Möglichkeiten in den Griff zu bekommen. Ich freute mich. Und im Endeffekt nützte mir diese Therapieform sehr.
Und ja, mir ist bewusst, dass ich hier etwas sehr persönliches Teile, sowie dass ich hiermit TERFs und SWERFs förmlich alles zum Fressen, oder besser zur Instrumentalisierung, vorwerfe. Go for it, das ist euer Niveau 🙂
Die Auswirkungen
Im Laufe der Sitzungen traten sehr große Löcher in meiner Seele zu Tage. Ich entschloss mich diese zu füllen und nach meinem eigenen Ermessen zu handeln. Ich besuchte Orte, fand Menschen aus der Vergangenheit, deckte Probleme auf und trennte mich von Anderen.
Ohne es zu merken verschwand Little ganz langsam. Irgendwann merke ich es und war verwundert: Da war plötzlich nichts mehr – niemand mehr – den ich “hervorholen” konnte. Das geht nun einige Monate so und ich kann es immer noch nicht einordnen. Ich weiß nur, dass ein altes Bedürfnis weg ist und damit auch eine Art wie ich BDSM ausgelebt habe.
Ich fühle mich um so vieles erwachsener und abgegrenzter. Ich habe damit etwas erreicht, dass keiner in meiner Familie geschafft hat – ein inneres Kind zu integrieren.
Tatsächlich merke ich nun auch, dass ich mich selbst in den Mittelpunkt stelle und nicht länger bereit bin für andere zu leiden. Auch halte ich mich von Konventionen und Erwartungen fern. Ich möchte herausfinden wer ich bin, wer ich sein will und wie ich am besten mit der Umwelt zurecht komme. Die Träume und Fantasien anderer halte ich aus mir heraus. Wie ich es schon hier schrieb: No more Crushes, no more Roleplay. Das bedeutet eben ganz ich sein, ohne zu tief in Fandoms, Spiele, Serien oder ähnliche Fluchtmechanismen einzutauchen. Und eben auch: BDSM nicht mehr als Flucht einzusetzen.
Wie ich mich damit fühle kann ich noch nicht sagen, aber irgendeine körperliche Veränderung geht in mir vor. Ich kann sie noch nicht genau bestimmen. Aber sicher bald…
Also: Gute Reise Little.
Disclaimer: Dieser Eintrag dient nicht dazu deinen Lebensweg zu kritisieren oder in Frage zustellen. Du triffst die Entscheidungen in deinem eigenen Leben, genau wie ich die Meinen.